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Donnerstag, 9. Dezember 2010

Eulen nach Berlin

Im Buch Jeder zweite Berliner. Schlesische Spuren in Berlin wird es um viele Phänomene gehen, die mit schlesischen Einflüssen auf die Stadt in Verbindung stehen. Damit die Fülle des Materials nicht einfach aneinandergereiht wird, soll das Wagnis unternommen werden, sozusagen schlesische Charakteristika herauszupräparieren. Dabei kehren immer vier Punkte wieder: verehrende oder auch kritische Bezugnahme auf die Hohenzollern, ein großes Interesse für soziale Belange, religiöse Züge und ein spezifischer Witz.

Alle diese vier Punkte finden sich auch im Werk des zeitgenössischen Bildhauers Günter Anlauf, der 1924 im Kreis Bunzlau geboren wurde und der vor zehn Jahren starb. Vor allem über ganz Westberlin verteilt sind die Spuren seines Wirkens. Von seinem Autobahnbären hatten wir bereits gehört. Wie aber bezieht er sich auf die Hohenzollern? Hier reicht der Bogen von der »Bildsäule eines Kurfürsten« (1971), Denkmal des Absolutismus mit leerem Gesicht und Allongeperücke als Säulenstumpf, über vier Attikafiguren der Künste (1971/73) auf dem östlichen Flügel des Schlosses Charlottenburg zu dem Pickelhauben-Stehauf-Klotz »Mars« (1970) mit Schild und Schwert. Seine Preußenkritik wird in dem zugehörigen Vers deutlich:
»Helm und Schwert und Schild - erst prima gedrillt. Schild und Helm und Schwert - dann mächtig ausgezehrt. Schwert und Schild und Helm - endlich wackelt der Schelm.«
Sein Interesse an sozialen Belangen, an politischer Kunst in dem Sinne, dass es ihm um eine nicht-elitäre Kunst in der städtischen Öffentlichkeit geht, die sozusagen jedem zugänglich ist, zeigt sich in vielen öffentlichen Platz-, Brücken-, Park-, Schul- und Friedhofs-Skulpturen sowie Gestaltungen etlicher, nach dem Krieg abgeputzter Berliner Altbaufassaden. Am bekanntesten sind seine vier Bärenskulpturen auf der Moabiter Brücke. Seine Brunnengestaltung für die Frauenhaftanstalt am Friedrich-Olbricht-Damm zeugt von Anlaufs sozialem Anliegen. Helmut Börsch-Supan formuliert dazu:
»Durch den Verzicht auf Dämonie und Olympiertum gewinnt sie (Anlaufs Kunst) einen sozialen Charakter in dem ursprünglichen Wortsinn, daß sie Verbindungen knüpft. Hier ist beste Berliner Bildhauertradition zu spüren: etwas vom Geiste Johann Gottfried Schadows.«

Immer wieder wird in Anlaufs Œuvre der Witz, die Ironie hervorgehoben. Der Humor stellt sicherlich den Hauptzusammenhang seines Werkes her. Aber es hat auch religiöse Seiten. So schuf Anlauf 1980 einen zwölfteiligen Bronzekreuzweg, der von fast unschuldig-naiver Frömmigkeit geprägt ist. Er schuf Grabmale von kindlicher Ratlosigkeit, so den Stein für Günter Bruno Fuchs.


Das Komische in seinem Werk kommt nie auftrumpfend oder besserwisserisch daher, nie mit dem scharfen Schwert des Sarkasmus, sondern entwaffnend, von einer früheren Entwicklungsstufe des Menschen her denkend und gestaltend. Kopffüßler, Mondgesichter, phantastisch-geklitterte Tierfiguren, Ornamente, die zu Eulen werden, Stiere, die zu Möbelblöcken werden, Maskengesichter, Sprachspielereien, sich küssende Schildkröten aus Stein, eine Bodenskulptur, die sich plötzlich zu Mund und Nase formt - all das entspricht den kindlich-spielerischen Aneignungen der Wirklichkeit.

Sogar Anlaufs Tod hat noch ein Lächeln. Sein Grab auf dem Friedhof Heerstraße ist mit seiner eigenen Arbeit geschmückt, die bereits 1968 unter dem sprachspielerischen Titel »Popocapitel« enstand. Das Kapitell auf seinem eigenen Grab als Popo, als dicke, angenehm regressiv wirkende Sehnsuchtskugel, der es gelingt, bevor die Assoziationen platt zu werden beginnen, sich in eine Eule zu verwandeln - soviel Weisheit kann im Witz, im Spiel verborgen liegen.


Foto: © www.wikipedia.de