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Montag, 29. November 2010

Allerheiligen

Hedwigsfriedhof
Nur zu Allerheiligen tummeln sich die Angehörigen etlicher Verstorbener auf den katholischen Friedhöfen Berlins. Viel mehr rote Grabkerzen als sonst üblich brennen an diesem katholischen Feiertag. Einige Gräber auf dem Hedwigsfriedhof, meistens polnische oder oberschlesische, sind mit Kerzen, Grableuchten und Laternen geradezu überhäuft, kleinen flackernden Inseln gleich, die sich gegen das graue Licht des Novembers anstemmen. Hastig werden gelbe Ahorn- und Buchenblätter von den Gräbern geharkt, die sich bislang auf alle Gräber und Wege gleichmäßig verteilt hatten. In das Geraschel der Blätter mischt sich regelmäßig das Gezischel der S-Bahn. Dann wird es stiller. Noch wölben sich die orangegelben Hauben der Trauerbuchen über den Gräbern. Nach ein, zwei Herbststürmen werden sie kahl sein. Dann wird der Schnee kommen und der Frost. Die eine oder andere Grabstätte wird durch den kommenden Winter, durch Kälte und Frost beschädigt, gesprengt, verwittert. Schon jetzt rutschen manche Grabaufbauten ab und zerfallen. Die Krähen werden sich auf den kahlen Ästen niederlassen als schwarze, ungenießbare Winterfrüchte.

Leider ist es nicht üblich, auf Grabsteinen den Geburtsort zu verzeichnen. Dabei sind es auf dem Hedwigsfriedhof 2 an der Smetanastraße in Berlin-Weißensee sicher weit über fünfzig Prozent der Bestatteten, die aus Schlesien stammen. Man erkennt es an den Namen. Die typisch mittel-niederschlesischen Namen wie Witzel, Giesel, Wenzel, Zobel sind dabei weniger stark vertreten als typisch oberschlesische Namen wie Knossalla, Cimbollek, Skrobotz, Kaluza, Kamionka, Czwak, Kudelka, Tlach, Laschewski, Woitrik, Smala, Przyniczynski, die meisten im ausgehenden 19. Jahrhundert geboren. Es ist ein unspektakulärer Friedhof. Aber er zeugt von der Arbeitsmigration aus Schlesien nach Berlin um 1900. Viele der Ankömmlinge versuchten, dem sozialen Elend der schlesischen Viertel um den Schlesischen Bahnhof und das Schlesische Tor herum zu entgehen. Viele siedelten sich in Weißensee an. Auch dieser Friedhof wird zu Allerheiligen mit vielen roten Grabkerzen geschmückt und leuchtet still in seiner Abgeschiedenheit.

Hedwigsfriedhof im November
Weniger romantisch ist der Hedwigsfriedhof 3 an der Ollenhauerstraße in Reinickendorf gelegen. Im Dreiminutentakt schwebt ein Flugzeug nach anderen geräuschvoll und riesig herab, um auf dem nahen Flughafen Tegel zu landen oder von dort zu starten und ebenso geräuschvoll wieder am Himmel zu verschwinden. Pfarrer Josef Lenzel ist dort begraben. 1890 in Breslau geboren, kümmerte er sich während des Zweiten Weltkriegs in seiner Pfarrei in Berlin-Niederschönhausen um die polnischen Zwangsarbeiter, half ihnen und betreute sie seelsorgerisch. 1942 wurde er von der Gestapo verhaftet und starb im selben Jahr im KZ Dachau. Drei Gedenktafeln und zwei Straßenbenennungen in der Stadt zeugen von seinem mutigen Wirken in Berlin. Auch ihm brennen zu Allerheiligen rote Lichter.

Fortsetzung am kommenden Donnerstag.

Donnerstag, 25. November 2010

Hedwigsfriedhof 1

Der alte katholische Domfriedhof der Hedwigskathedrale an der Liesenstraße lag nach 1945 zwischen den östlichen und westlichen Machtblöcken, nach 1961 auf dem Todesstreifen, dem Vakuum des Kalten Krieges. Nach der Wende war er wieder allen zugänglich, aber gerupft, geplündert, vieler Gräber beraubt. Reste der Berliner Mauer umgrenzen ihn an der einen Seite, hohe Brandmauern und eine weite Wiese mit Gräbern des protestantischen Domfriedhofs an der zweiten Seite und Gräber des französisch-reformierten Friedhofs, darunter das Ehrengrab Theodor Fontanes, an der dritten Seite. Zwischen 1961 und 1989 waren diese Friedhöfe schwer bewacht, die Gräber, die genau im Mauerstreifen lagen, wurden entfernt, die Grabsteine teilweise dazu benutzt, einen Kolonnenweg für die Fahrzeuge der Grenzpatrouillen anzulegen.

Grabstein des Priesters Otto Scholz
im Hedwigsfriedhof
Der alte Domfriedhof der St. Hedwigsgemeinde an der Liesenstraße wurde 1834 geweiht und ist heute der älteste katholische Friedhof der Stadt. Da die Hedwigskathedrale vor allem für schlesische Katholiken, besonders für den Adel, errichtet worden war, fanden sich ursprünglich viele Gräber von Schlesiern auf dem ersten katholischen Friedhof am Oranienburger Tor, der heute nicht mehr existiert, da er von Wohnhäusern überbaut wurde. Doch auch auf dem Nachfolge-Friedhof an der Liesenstraße finden sich noch schlesische Spuren. Neben Gräbern von Rheinländern, Westfalen, Bayern, Österreichern, Franzosen, Italienern, Spaniern und Polen gibt es bzw. gab es auch immer wieder Gräber von Schlesiern. Durch die Zeitläufe verloren gegangen ist das Grab von Johannes Janda aus Kleindarkowitz bei Hultschin, eines klassizistischen Bildhauers im 19. Jahrhundert, der sowohl in Schlesien als auch in Berlin etliche Werke hinterließ, so die Heiligenfiguren für das katholische Hedwigskrankenhaus an der Hamburger Straße oder das Relief »Maria, dem Hl. Dominikus den Rosenkranz reichend« in der Pauluskirche in Moabit. Oder das Grab des einstmals berühmten Schauspielers Karl Seydelmann aus dem schlesischen Glatz, eines Freundes von Karl von Holtei. Oder das Grab des aus Schlesien stammenden Theologen, Domprobstes und NS-Widerstandskämpfers Bernhard Lichtenberg, das in die St. Hedwigskathedrale verlegt wurde. Doch auch heute noch finden sich Gräber von Schlesiern oder Personen, die maßgeblich mit Schlesien in Beziehung standen, Gräber von schlesischen Priestern aus Breslau, Lauban, Glatz oder das Grab des aus Rheine in Westfalen stammenden Franz Anton Egells, des Pioniers des modernen Maschinenbaus in Berlin am Oranienburger Tor, der 1829, um sich günstige Rohstoffe zu sichern, im schlesischen Reinerz eine Eisenhütte, die Egellshütte, erwarb. Bekannt wurde Egells auch dadurch, dass er zehn Jahre lang den jungen Schlesier August Borsig bei sich beschäftigte, bevor dieser sich noch erfolgreicher selbständig machte.

Der Hedwigsfriedhof im Herbst
Der Hedwigsfriedhof 1 an der Liesenstraße ist eine Oase der Zeitentrücktheit, die seiner besonderen Lage im Zentrum der weltpolitischen Verstrickungen geschuldet ist. Auf engem Raum, der weit wirkt, weil viele Lücken klaffen, gibt sich die katholische Welt Berlins ein Stelldichein. Verrostete Grabeinfassungen, einstmals prachtvoll, erinnern an liegengebliebene Kutschen aus Alt-Österreich. Niederschlesische Namen wie Barthel oder Hahnel und oberschlesische Namen wie Grzeszkiewicz, Wosnik oder Kolodziejski zeugen von vielfältigen schlesischen Mitgliedern der St. Hedwigsgemeinde. Die leere Wiese des protestantischen Domfriedhofs öffnet den Blick auf eine Weltlandschaft zwischen Brandmauern und Prachtgruften. Die Gräber, die in die Brandmauer eingelassen sind, wirken eingesunken wie antike Grabmale. Die Atmosphäre wird dichter unter den Fliederbüschen. Die S-Bahn rattert vorbei, sie quietscht und zischelt, bevor sie in den Tunnel zum Nordbahnhof eintaucht. Trauerbuchen bewachen eingesunkene Gräber, um die sich niemand mehr kümmert. Eisenkreuze rosten vor sich hin. Marmorgrabsteine stehen schief wie wackelnde Zähne. Kreuze mit Holzdächlein erinnern an den lieblicheren Süden. In der glühenden Hitze des Sommers sind die weiten Wiesen verdorrt und die langen Gräser hängen welk und verbrannt um die Kanten der Gräber. Im Herbst sind sie mit Laub überhäuft. Leer ist der Friedhof und einsam. Wer keine Heimat hat – hier kann er Ruhe finden.

Fortsetzung am kommenden Montag.