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Donnerstag, 28. Oktober 2010

Heimatlos

Elliger, Katharina:
Und tief in der Seele das Ferne,
Rowohlt Taschenbuch Verlag 2004
Foto: © buchhandel.de
Katharina Elliger, Studienrätin und Verfasserin des Buches Und tief in der Seele das Ferne (2004), beschreibt ihre Erinnerungen an Flucht und Vertreibung aus Niederschlesien als vierzehnjähriges Mädchen. Ihrem Buch stellt sie als Motto ein Zitat von Fritz Stern voran: »Und doch, vor einigen Jahren in einem deutschen Interview gefragt: ›Was fällt Ihnen bei dem Wort Heimat ein‹, gab ich die mich völlig überraschende sofortige Antwort: ›Heimatlos.‹«

Trotz ihrer beruflichen und familiären Integration in der neuen westdeutschen Heimat kommt also diese als Jugendliche vertriebene Frau im Alter zu der Erkenntnis, dass sie eigentlich heimatlos ist. Dies ist ein Grundgefühl, das sicherlich bei vielen Vertriebenen vorherrscht, wenngleich die Heimatlosigkeit vermutlich oft mehr dunkel und unangenehm geahnt als reflektiert wurde und wird. Sie wurde und wird als ein untergründiges Missbehagen, doch nie ganz dazuzugehören, zwar gespürt, aber kaum ausgesprochen, betrauert und dann, im besten Falle, zu einer neuen, produktiven Identität gemacht. Oft aber wird das Gefühl der Heimatlosigkeit peinlich und demütig verschleiert. Nur wenige können sich dieser Erkenntnis stellen, nicht nur heimatlos zu sein, sondern – bei allen rastlosen Integrationsversuchen – sogar heimatlos geblieben zu sein, oder das Heimatlosigkeitsgefühl auf die eigenen Kinder übertragen zu haben. Viele Vertriebene konnten auch in den Vertriebenenverbänden keine neue Heimat finden, da diese ihnen als künstlich (wie sagte eine Vertriebene? »Solche Trachten habe ich in Schlesien nie gesehen!«) oder als rückwärtsgewandt erschienen.


Heimatlos oder Heimat wie ein Flickenteppich, ein bisschen die eigene Kindheit im Westen, ein bisschen die Heimat der Eltern, ein bisschen der Ort, an dem man jetzt lebt, bezeichnenderweise ist es Berlin – so beschreibt es ein Vetriebener der zweiten Generation, ein Adliger, dessen Familie alle Besitzungen in Schlesien verloren hat und dessen Eltern nie so ganz angekommen sind im Westen. Er selbst leidet sehr unter dem unbestimmten Heimatgefühl, das auf den Heimatverlust folgt, und ist davon so sehr geprägt, dass sich sein Leben ebenso unbestimmt und schwankend gestaltet. Er sagt, dass er sich selbst gerne provokativ, aber durchaus nicht nur ironisch, als Schlesier bezeichnet. Sein Bruder, der beruflich und familiär besser Tritt gefasst hat und sich vordergründig nicht so sehr für die schlesischen Wurzeln interessiert, lässt plötzlich verlauten, er wolle später einmal in Schlesien, in ihrem Herkunftsort, bestattet werden. So, als wisse er, wohin er am Ende gehöre, so, als könne er schließlich nach Hause kommen.

Fortsetzung am kommenden Montag.