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Donnerstag, 4. November 2010

Amnesien

Kossert, Andreas: Kalte Heimat,
WJ Siedler Verlag 2008
Foto: © buchhandel.de
Nach 1945 wurde Deutschland neu aufgeteilt. Zu dieser Aufteilung gehörte auch ein neuer Blick auf die abgetrennten deutschen Ostgebiete. In der SBZ und in der DDR sollte die Erinnerung an Schlesien, Pommern und Ostpreußen möglichst schnell aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwinden. In den Westsektoren ging man zunächst nicht ganz so rabiat vor. Vertriebenenorganisationen und -treffen wurden zugelassen, Denk- und Mahnmale in vielen Städten erinnerten an die Ostgebiete, Schulen konnten in Schlesienschule, Versammlungssäle in Pommernsaal umbenannt werden. Es gab den »Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten« als eigene Partei. Ab den siebziger Jahren jedoch ließ diese sowieso schon brüchig gewordene Erinnerungskultur stark nach. Mahnmale wurden wieder abgebaut, und von offiziellen Seiten, von Parteien und Verbänden wurden und werden letzte Erinnerungsreste an den ehemaligen deutschen Osten der Amnesie anheimgegeben. Ein jüngeres Beispiel stellt die Umbennenung der Schlesien-Schule in Berlin-Charlottenburg im Jahr 2004 dar, wie es Andreas Kossert in seinem Buch Kalte Heimat beschreibt: argumentierten CDU und FDP, dass »Schlesien für einen Teil deutscher und europäischer Geschichte stehe, für den sich niemand zu schämen habe«, so konterte die SPD, »der Name Schlesien könne zu Missverständnissen nicht nur bei unseren polnischen Nachbarn führen [...], die Schule müsse sich von allen restaurativen Interessen distanzieren.« Schlug die CDU der Schulleitung vor, Kontakt zu einer polnischen Schule aufzunehmen, so begründete der Schulleiter schließlich die Entscheidung für die Umbenennung damit, dass »im Zuge der deutschen Wiedervereinigung jegliche Ansprüche auf die ehemaligen Ostgebiete ad acta gelegt worden seien« und: »Keiner unserer Schüler hat einen Bezug zu Schlesien« - »eine Aussage«, so Kossert, »die einer gründlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten würde.« (Kossert, Kalte Heimat, München 2008, S. 191 f.)

Ebenso sollte auf Antrag von Grünen und SPD der Breslauer Platz in Köln zu Beginn der neunziger Jahre in Willy-Brandt-Platz umbenannt werden. Jedoch blieb der Name Breslauer Platz aufgrund von Protesten aus der Stadtbevölkerung, einer Mischung aus Ur-Kölnern und Schlesiern, erhalten.

Es ist wohltuend zu beobachten, wie entspannt polnische Studenten mit den deutschen Namen aus Schlesien umgehen können. So freute sich eine Gruppe polnischer Germanistikstudenten, die vom Haus Schlesien in Königswinter zu einer Tagung eingeladen waren, über die Bezeichnung der Zimmer nach deutschen Städtenamen aus Schlesien. Sie waren sehr zufrieden mit den Zimmernamen Glogau und Bunzlau in Haus Breslau, mit den Zimmern Ratibor und Bolkenhain in Haus Oder, mit Neurode und Bad Reinerz in Haus Grafschaft Glatz. Da sie aber aus Wrocław kamen, hätten sie natürlich alle am liebsten das Zimmer Breslau im Haus Riesengebirge bewohnt.

Fortsetzung am kommenden Montag.

Montag, 11. Oktober 2010

Rückwärtsgewandt oder mitgemacht

Ein »Wohl-oder-übel-Gefühl«, das »Zusammenfügen und halbwegs friedliche Zusammenleben von Heterogenem« – mehr, so Robert Traba am Ende des letzten Eintrags nüchtern, könne man nach den Verwerfungen des 20. Jahrhunderts vom Begriff »Heimat« nicht verlangen.

Wie ist es umgekehrt mit den deutschen Vertriebenen? Hier verhält es sich nun nicht zwingend spiegelverkehrt zu den polnischen Erfahrungen, wie sonst immer für die Westverschiebung mit der doppelten Vertreibungsbewegung - die Ostdeutschen kamen nach Westen, die Ostpolen nach Schlesien, Pommern und Ostpreußen - angenommen wird. Bei der Frage nach der heimatlichen Verwurzelung der deutschen und polnischen Vertriebenen, auch der zweiten Generation, hapert es mit den strukturellen Ähnlichkeiten. Denn die deutschen Vertriebenen kamen ja nicht in leere und fremde Gebiete, sondern in kulturell nicht ganz so fremde und vor allem besiedelte Gebiete, in denen die Angestammten ihre Rechte auf Angestammtsein deutlich bis sehr deutlich bekundeten. Wie groß die Abwehr, die Ablehnung der Vertriebenen durch die ansässige Bevölkerung war, beschreibt Andreas Kossert eindrucksvoll in seinem Buch Kalte Heimat.

Kossert, Andreas: Kalte Heimat,
WJ Siedler Verlag 2008
Foto: © buchhandel.de
Schon die erste Generation der Vertriebenen reagierte sehr unterschiedlich auf den erzwungenen Heimatverlust. Vermutlich gab es so viele, individuell unterschiedliche Reaktionsmöglichkeiten auf die Vertreibung, wie es Vertriebene gab. Und doch lassen sich auch immer wieder strukturelle Ähnlichkeiten in bestimmten Gruppen erkennen. So lehnten häufig ganz alte Leute und Bauern den neuen, zufälligen Ort ab, an den man sich mit einem Mal ungewollt wiederfand, ja, sie verweigerten sich ihm gegenüber geradezu. Gerade Bauern oder auch Gutsbesitzer, die Land besessen hatten, verharrten verständlicherweise gern in der Vorstellung der verlorenen Heimat, wo sie etwas hatten und waren, während im Westen das Land seit altersher unter den Einheimischen aufgeteilt war. Das stellte sich kurzzeitig in der DDR durch Bodenreform und Neusiedlerbewegung anders da, dort bekamen auch die Vertriebenen Land zugesprochen, verloren es jedoch durch die Kollektivierung der Landwirtschaft wieder. Diese nicht anpassungswillige Gruppe beharrte auf ihrer Mundart, ihren traditionellen Speisen, ihrer religiösen Ausprägung und auf den alten Geschichten aus der verlorenen Heimat, die so oft erzählt wurden, dass sie sich langsam zu mythischen Stoffen zu verdichten begannen. Sie wussten, wo ihre Heimat war. Diese aber war verloren. Das hatte Zorn, Trauer und Melancholie zur Folge.

Eine solche Gruppe der Vertriebenen gab es übrigens auch in Polen, beschrieben vom polnischen Autor Adam Zagajewski in seinem Essay Zwei Städte. Darin entwirft Zagajewski ein Panoptikum älterer, aus Lemberg vertriebener Polen, die sich nach 1945 ungewollt im ehemals deutschen Gleiwitz wiederfanden - miniaturenhafte Kabinettstückchen der Integrationsverweigerung.

Eine entgegengesetzte Möglichkeit der deutschen Vertriebenen, auf die neuen Verhältnisse zu reagieren, bestand in Überassimilation. Im extremsten Fall wurde die Herkunft verleugnet, da mit ihr in beiden Teilen Deutschlands kein Staat zu machen war, im etwas weniger extremen Fall wurde sie zumindestens nach außen verschwiegen (und die mythischen Stoffe nur nach innen, innerhalb der Familie weitergegeben). Auch das ist verständlich. Denn die Vertriebenen wollten nicht auffallen, und wenn, dann nur durch Tüchtigkeit und moralische Integrität. Sie waren um ein besonders gutes Deutsch bemüht, um den Vorwurf, die Leute aus dem Osten seien ja sowieso alle "Polacken", gar nicht erst aufkommen zu lassen. Sie bemühten sich, ihre Kinder vorbildlich zu erziehen, um nicht anzuecken. Sie suchten nach den Werten, die in den jeweiligen Gesellschaftsystemen etwas zählten. Das konnte im Westen ein durch unglaublichen Fleiß errungener guter Beruf sein, in dem man durch besondere Tüchtigkeit auffiel, und der Bau eines Hauses durch äußerste Sparsamkeit und Versagungen. In der DDR konnte es die SED-Mitgliedschaft sein und damit verbunden ideologische Überkorrektheit. Ob Bundesrepublik oder DDR: man war genug gedemütigt worden, hatte den Besitz-, den Status- und, was am schwersten wog, den Heimatverlust erlitten, nun wollte man in der neuen Heimat endlich mitmachen, einen Platz besetzen, nach vorne schauen - schon für seine Kinder.

Fortsetzung am kommenden Donnerstag.