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Donnerstag, 2. Dezember 2010

Schlesisches Himmelreich

Beim Essen hört die Antike auf. Die Welt ist groß und jetztzeitig, und fast ebenso groß ist die Auswahl an verschiedenen Restaurants und Küchen in Berlin. Je nach Mode boomen eine Weile lang die mexikanischen Restaurants, werden von japanischen abgelöst und diese dann wieder von den thailändischen und den indischen, bis sich alles auf ein normales Maß zurechtegrüttelt hat und mehr oder weniger freundlich koexistiert. Persische Restaurants liegen neben afrikanischen, nepalesische Restaurants neben russischen. Boomt eine Zeitlang das Niegehörte, Niegesehene, Niegegessene, Krokodil und Känguruh oder echte chinesische Küche für Chinesen mit seltsamen Eingeweide und undefinierbaren Zutaten, so gibt es gleichzeitig auch wieder einen Hang, ja fast einen Drang zur traditionellen, bodenständigen, regionalen Küche, zur bayrischen, zur schwäbischen, zur österreichischen und sogar zur böhmischen Küche, wie sie ja heute in Böhmen, in Prag immer noch lebendig ist. Lateinische Küche aber gibt es nicht. Ebenso sucht man schlesische Restaurants im Berliner Stadtbild vergeblich, fast scheint die Küche, wie der niederschlesische Dialekt, ausgestorben zu sein. In Breslau, in Mittel- und Niederschlesien sind mir keine Restaurants begegnet, die die deutsche Küche pflegen. Am Breslauer Ring wird dagegen das Restaurant Karczma Lwowska betrieben, das mit altpolnisch-lemberger Küche aufwartet. Nur in Görlitz, nach der Wende plötzlich der letzte deutsche Zipfel Niederschlesiens, hat man die kulinarischen Traditionen Schlesiens wiederbelebt. Dort gibt es mit einem Mal in einigen Restaurants Schlesisches Himmelreich und schlesische Linsensuppe mit einer Kelle heißen Sauerkrauts in der Tellermitte, in etlichen Bäckereien viel typisches Mohngebäck und schlesischen Sträßelkuchen. Hier scheint also (noch? wieder?) eine Tradition lebendig zu sein.

Die ganze Zeit schon möchte der Berliner Restaurantkenner ungeduldig widersprechen. Natürlich gibt es in Berlin schlesische Restaurants. Das Restaurant Kolk in Spandau zum Beispiel, das seit 1989 Spezialitäten aus Schlesien, Ostpreußen und Berlin anbietet, nach eigener Aussage deswegen, weil die Vorfahren der heutigen Restaurantbesitzer teils aus Schlesien und teils aus Ostpreußen stammen. Hier gibt es die oft süß-saure schlesische Küche, hier gibt es zum Nachtisch schlesische Mohnklöße. Hier kann man wohlschmeckende und gehaltvolle Gerichte bekommen, die auf diese Weise vorm Aussterben bewahrt werden.

Weitere Restaurants in Berlin, die schlesisch in ihrem Namen trugen, das deutsch-schlesische Restaurant Gourmand-Smakosz in Moabit, Kochs Brunnen Gasthaus mit polnisch-schlesisch-deutscher Küche am Prenzlauer Berg sind kürzlich eingegangen. Aber das schlesisch-böhmische Restaurant Duett in Steglitz und das schlesische Restaurant Chopin am Wannsee erfreuen sich größerer Beliebtheit. Letzteres bezieht sich kulinarisch sowohl auf die deutsche mittel-niederschlesische als auch auf die polnisch-oberschlesische Küche, in der Pirogen, Barczsz, Bigos und Żurek (Sauerteigsuppe) angeboten wird. Mein Vater erzählte, dass eine Kolumne, die er in der Zeit um 1930 im oberschlesischen Lokalblättchen gerne gelesen habe, den Titel trug »Wo der Żur dampft«, was so viel bedeutete: wo man gemütlich beisammen sitzt und die neuesten Geschichten erzählt. In diesem Restaurant dampft sicherlich der Żur, wahrscheinlich sogar der Żurek królewski, der Königs-Żur. Und nicht nur dass hier das Schlesische Himmelreich, die schlesische Bouillon mit Fadennudeln, der Sauerbraten und die schlesischen Mohnpielen vorm Aussterben bewahrt werden, ist erwähnenswert, sondern dass zur Weihnachtszeit polnische Gänse mit einer Rosinen-Mandelsoße und Klößen von den polnischen Restaurantbetreibern in ein typisch schlesisches Gericht verwandelt werden.

Auch das Restaurant Schlesisch Blau in Kreuzberg wird übrigens sehr gelobt. Aber der Name lockt auf eine falsche Fährte. Die Küche ist rein französisch und der Name rührt lediglich von seiner Lage her: der Nähe zum Schlesischen Tor.

Fortsetzung am kommenden Montag.