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Donnerstag, 23. Dezember 2010

Silesia cantat

Wie sagte ein aus dem Erzgebirge stammender Freund spöttisch, nachdem er das Weihnachtslied »wann das Rachermandel nabelt« (also: wenn das Räuchermännchen nebelt) zum Besten gegeben hatte? Gebirgsgegenden sind immer weihnachtsverdächtig. Das galt in hohem Maße auch für Schlesien. Immer wieder Berge, viel Gemüt, viel Brauchtum. Meine Mutter erzählt aus ihrem Dorf in Mittelschlesien, dass es dort üblich gewesen sei, in der Dämmerstunde des Heiligen Abends auf die Felder zu gehen und das Christkind mit der Flinte vom Himmel zu schießen.

Der gesangliche Höhepunkt des Weihnachtsabends in unserer Familie im Ruhrgebiet bestand, nachdem alle üblichen bekannten Weihnachtslieder gesungen worden waren, im Anstimmen zweier Lieder aus Schlesien. Einmal eine Vertonung des Eichendorff-Gedichts »Markt und Straßen stehn verlassen«, an dem mich die Perspektive des einsam durch die verschneiten Straßen einer Stadt stapfenden Wanderers stets begeisterte, an den Fenstern haben Frauen buntes Spielzeug fromm geschmückt, eines Wanderes, der dann die Stadtmauern verließ, tausend Kindlein stehn und schauen, sind so wunderstill beglückt, um in des Schnees Einsamkeit der Felder das wahre Geheimnis dieser gnadenreichen Zeit zu erfahren, während von draußen der Regen eines atlantischen Tiefausläufers an die Fenster schlug.

Und zum anderen das Lied »O du heilige, stille Nacht«, überliefert von meiner Großmutter aus dem Hultschiner Ländchen, ein Weihnachtslied, das so süßlich und alt-österreichisch klang, als entstammten die Jubelchöre der Weihnachtsengel mit ihren tremolierenden Girlanden direkt den katholischen Kirchenchören von Zauditz und Tröm. So sehr man sich auch dagegen wehrte: diese beiden Weihnachtslieder sprachen immer wieder das Gemüt an. Bevor dieses aber übermächtig werden konnte, belustigte uns der unglaublich pragmatische Realitätsgehalt eines bekannteren Weihnachtsliedes aus Oberschlesien, »Auf dem Berge, da wehet der Wind«, wenn es in dem Dialog zwischen Maria und Joseph heißt: »Ach, Joseph, lieber Joseph mein, ach hilf mir doch wiegen mein Kindelein!« »Wie soll ich dir helfen dein Kindlein wieg'n? Ich kann ja kaum selber die Finger bieg'n.« Um diesen Konflikt in ein zahnlos-süßliches »Schumschei, schumschei« einmünden zu lassen.

Kirchenchöre in Berlin und andernorts singen zur Weihnachtszeit immer wieder gerne Werke des Organisten und Kirchenmusikers Carl Thiel, der 1862 im schlesischen Klein-Öls geboren wurde, in Berlin wirkte und dessen vier- bis fünfstimmigen Chorsätze von »Ich steh an deiner Krippen hier«, »Freu dich, Erd- und Sternenzelt« und »Vom Himmel hoch, ihr Engel kommt« und vor allem »In dulci jubilo« sich großer Beliebtheit erfreuen. Aber der unbestrittene Höhepunkt eines jeden hellen und strahlenden Weihnachtsmorgens ist das »Transeamus«. Der Ursprung dieses Hirtenliedes liegt im Dunkeln, Transeamus usque Bethlehem, vermutlich entstand es aus einem liturgischen Krippenspiel in einem schlesischen Kloster, et videamus hoc verbum quod factum est, wurde dann nach Breslau überliefert und vermutlich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in die heute bekannte Form gebracht, Mariam et Joseph et Infantem positum in praesepio, bis dann das Stimmenmaterial des weihnachtlichen Chorwerks von dem letzten deutschen Domkapellmeister Paul Blaschke 1945 aus dem Breslauer Dom nach Westdeutschland gebracht werden konnte, Transeamus et videamus quod factum est.

Das »Transeamus« ist pathetisch und weich zugleich, sein Bass ist großartig und seine Sopranstimmen klingen festlich und hell. Es ist nicht nur weihnachtsverdächtig, es verbreitet eine jubelnde Weihnachtsfreude, die länger nachhallt: Gloria in excelsis Deo, et in terra pax hominibus bonae voluntatis.

Fortsetzung am kommenden Donnerstag.